Die Ungleichzeitigkeit des realen Humanismus

Konsequenzen, Experimente und Montagen in kritischer Theorie

Eine kritische Theorie ist heute nur fortzusetzen, wenn sie ihren praktischen Handlungsraum erweitert und sich an den ursprünglichen Auftrag erinnert, soziale Unrechtszustände zu hinterfragen, und wenn jenseits aller Verhärtungen unter dem Namen einer kritischen Theorie erst einmal alle sozial- und kulturphilosophischen Ansätze versammelt und diskutiert werden, die für sich einen kritischen Standpunkt beanspruchen. Nicht länger kann es darum gehen, unter kritischer Theorie lediglich eine Schule zu verstehen, die solange von nicht begründbaren Fragestellungen abrückt, bis sie zwar ihre normativen Grundlagen ausweisen kann, selbst aber im Zustand sozialer Belanglosigkeit verharrt. Auch sollte das Feld der Gesellschaftskritik nicht jenen überlassen werden, die unter modischen Vorzeichen lautstark über Symptome diskutieren, um die Ursachen zu verschweigen.

Diese Aufsatzsammlung versucht sich an einer Aktualisierung von kritischer Theorie aus unterschiedlichen Perspektiven, wobei im Zentrum die grundsätzliche Frage steht, wie und wo kritische Theorie heute noch möglich ist. Erinnert werden soll an das ursprüngliche Programm eines realen Humanismus, wie es von Marx und Engels formuliert und von verschiedenen sozialphilosophischen Ansätze weitergedacht wurde. So werden Möglichkeiten diskutiert, inwieweit Michel Foucaults Philosophie mit der kritischen Theorie Adornos, Horkheimers und vor allem Walter Benjamins vereinbar und erweiterbar ist. Anhand einiger Probleme, die gegenwärtig und zukünftig weltweit die Existenz der Menschheit betreffen, wird die Reichweite der Technikkritik Günther Anders im Vergleich mit postmodernen Ansätzen diskutiert; im selben Kontext wird Blochs Begriff des „Multiversums“ stark gemacht, mit dem philosophisch in die Debatten um Interkulturalität einzugreifen ist. Sozialpsychologische Fragen, die in einer mehr und mehr vom Konsumzwang, Konkurrenz und Leistungsdruck geprägten Gesellschaft virulent sind, werden bezüglich der Freud-Rezeption von Herbert Marcuse erörtert. Als Beitrag zur Subjektproblematik versteht sich ein Vergleich zwischen Franz Kafkas und Woody Allens Arbeiten auf Basis von Überlegungen Adornos. Der Aufsatzband wird durch eine Untersuchung der Freudschen Raummetaphorik sowie eine Studie zum humanistisch-atheistischen Gottesbegriff von Erich Fromm abgerundet.
[Junghans Verlag: Dartford und Cuxhaven 1996]

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